Der Satz des Pythagoras (auch als pythagoreischer Lehrsatz und als Hypotenusensatz[1] bezeichnet) ist einer der fundamentalen Sätze der euklidischen Geometrie. Er besagt, dass in allen ebenen rechtwinkligen Dreiecken die Summe der Flächeninhalte der Kathetenquadrate gleich dem Flächeninhalt des Hypotenusenquadrates ist. Sind also und die Längen der am rechten Winkel anliegenden Seiten, der Katheten, und ist die Länge der dem rechten Winkel gegenüberliegenden Seite, der Hypotenuse, so besagt der Satz, dass die sogenannte pythagoreische Gleichung
gilt.
Der Satz ist nach Pythagoras von Samos benannt, der als Erster dafür einen mathematischen Beweis gefunden haben soll, was allerdings in der Forschung umstritten ist. Die Aussage des Satzes war schon lange vor der Zeit des Pythagoras in Babylon und Indien bekannt, es gibt jedoch keinen Nachweis dafür, dass man dort auch einen Beweis hatte.
Der Satz des Pythagoras lässt sich folgendermaßen formulieren:
In geometrischer Deutung ist demnach in einem rechtwinkligen Dreieck die Summe der Flächen der beiden Quadrate über den Katheten gleich der Fläche des Quadrats über der Hypotenuse.
Die Umkehrung des Satzes gilt ebenso:
Eng verwandt mit dem Satz des Pythagoras sind der Höhensatz und der Kathetensatz. Diese beiden Sätze und der Satz des Pythagoras bilden zusammen die Satzgruppe des Pythagoras. Der unten beschriebene Kosinussatz ist eine Verallgemeinerung des pythagoreischen Satzes.
Aus dem Satz des Pythagoras folgt direkt, dass die Länge der Hypotenuse gleich der Quadratwurzel aus der Summe der Kathetenquadrate ist, also
Eine einfache und wichtige Anwendung des Satzes ist, aus zwei bekannten Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks die dritte zu berechnen. Dies ist durch Umformung der Gleichung für alle Seiten möglich:
Die Umkehrung des Satzes kann dazu verwendet werden, zu überprüfen, ob ein gegebenes Dreieck rechtwinklig ist. Dazu wird getestet, ob die Gleichung des Satzes für die Seiten bei dem gegebenen Dreieck zutrifft. Es reicht also allein die Kenntnis der Seitenlängen eines gegebenen Dreiecks, um daraus zu schließen, ob es rechtwinklig ist oder nicht:
Aus dem Satz des Pythagoras folgt, dass in einem rechtwinkligen Dreieck die Hypotenuse länger als jede der Katheten und kürzer als deren Summe ist. Letzteres ergibt sich auch aus der Dreiecksungleichung.
→ Hauptartikel: Inverser Satz des Pythagoras
Aus dem Satz des Pythagoras folgt als direkte Anwendung der reziproke Satz des Pythagoras:
Sind und die Längen der Katheten und die Länge der Höhe auf der Hypotenuse in einem rechtwinkligen Dreieck , dann sind und die Kathetenlängen und die Hypotenusenlänge eines zu ähnlichen rechtwinkligen Dreiecks .
Somit folgt: .
Wegen der Rechtwinkligkeit gilt für die Flächenmaßzahl des Dreiecks ABC die Gleichheit oder .
Durch Division der Pythagorasgleichung auf beiden Seiten durch und Einsetzen von für ergibt sich die Aussage des Satzes aus folgender Äquivalenzkette:
[2]
→ Hauptartikel: Pythagoreisches Tripel
Unter allen Dreiergruppen , die die Gleichung erfüllen, gibt es unendlich viele, bei denen , und jeweils ganze Zahlen sind. Diese Dreiergruppen werden pythagoreische Tripel genannt. Das einfachste dieser Tripel besteht aus den Zahlen , und . Die beiden kurzen Seiten bilden einen rechten Winkel.
Der große fermatsche Satz besagt, dass die -te Potenz einer Zahl, wenn ist, nicht als Summe zweier Potenzen des gleichen Grades dargestellt werden kann. Gemeint sind ganze Grundzahlen und natürliche Hochzahlen. Allgemein gesprochen bedeutet dies:
Das ist erstaunlich, weil es für unendlich viele Lösungen gibt. Für sind dies die pythagoreischen Zahlentripel.
Trotz seiner einfachen Formulierung gilt der Beweis des großen fermatschen Satzes, der erst 1995 erbracht werden konnte,[4] als außerordentlich schwierig.
→ Hauptartikel: Euklidischer Abstand
Der Satz von Pythagoras liefert eine Formel für den Abstand zweier Punkte in einem kartesischen Koordinatensystem. Sind zwei Punkte und in einer Ebene gegeben, dann ist ihr Abstand durch
gegeben. Hierbei wird ausgenutzt, dass die Koordinatenachsen senkrecht zueinander liegen. Diese Formel kann auch auf mehr als zwei Dimensionen erweitert werden und liefert dann den euklidischen Abstand. Zum Beispiel gilt im dreidimensionalen euklidischen Raum
Das entspricht auch dem Betrag bzw. der Länge des durch die beiden Punkte definierten Vektors.
Für den Satz sind mehrere hundert Beweise bekannt,[5] womit er wohl der meistbewiesene mathematische Satz ist. Elisha Scott Loomis führt in einem zuerst 1927 erschienenen Buch 371 Beweise auf.[6][7] Mario Gerwig[8] führt in einer Überarbeitung und Ergänzung der Loomis-Sammlung rund 365 verschiedene Beweise auf, wobei er Loomis rund 360 Beweise zuordnet und eine ganze Reihe von Fehlern, darunter auch die Aufnahme offensichtlich falscher Beweise. Exemplarisch werden im Folgenden sechs geometrische Beweise vorgestellt. Ein siebter Beweis aus dem Jahr 1875 von James A. Garfield findet sich unter Beweis des Satzes des Pythagoras nach Garfield, der dem Beweis durch Ergänzung stark ähnelt.
Euklid beschreibt den Satz des Pythagoras mit dem folgenden Beweis im ersten Buch seiner Elemente in der Proposition 47.[9] Dort beweist er zunächst den Kathetensatz mit Hilfe kongruenter Dreiecke, aus welchem dann unmittelbar der Satz des Pythagoras folgt. Der Beweis benutzt nicht die Theorie der Proportionen, die Euklid im Buch 5 der Elemente entwickelt, sondern kommt allein mit den Sätzen des ersten Buches der Elemente aus und ist von konstruktiver Natur.
Für ein Dreieck mit rechtem Winkel in sind und die Quadrate über den Katheten und der Fußpunkt der Höhe von auf . Des Weiteren sind und Rechtecke über der Hypotenuse deren längere Seite die Länge der Seite besitzt. Nun sind die Dreiecke und nach dem zweiten Kongruenzsatz (SWS) kongruent, da , und gilt. Zudem gilt, dass die Fläche des Dreiecks die Hälfte der Fläche des Rechtecks beträgt, da dessen Grundseite und die Rechteckseite gleich lang sind und die Länge seiner Höhe von der Länge der anderen Rechteckseite entspricht. Aufgrund eines entsprechenden Arguments folgt, dass die Fläche des Dreiecks der Hälfte der Fläche des Kathetenquadrates entspricht. Wegen der Kongruenz der Dreiecke und bedeutet dies aber, dass dann auch das Kathetenquadrat flächengleich mit dem Rechteck ist. Analog lässt sich mit Hilfe der kongruenten Dreiecke und zeigen, dass das zweite Kathetenquadrat flächengleich mit dem Rechteck ist. Damit hat man den Kathetensatz bewiesen. Der Satz des Pythagoras folgt dann sofort, da das Hypotenusenquadrat sich aus den Rechtecken und zusammensetzt.
Es gibt noch einen weiteren Beweis des Satzes von Pythagoras in den Elementen in Buch 6, Proposition 31 (siehe unten).[10] Er benutzt statt Quadraten zueinander ähnliche Rechtecke auf den drei Seiten, ist formal einfacher als der Beweis im ersten Buch durch Verwendung der Theorie der Proportionen, die erst von Eudoxos von Knidos streng begründet wurde. Pythagoras kann beide Beweise aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gekannt haben, da sie einem fortgeschritteneren Verständnis der Geometrie entsprechen[11]Proklos schrieb die Beweise in seinem Kommentar zu den Elementen explizit Euklid zu und drückte seine Bewunderung für beide Beweise aus.
Euklid gibt in der letzten Proposition 48 von Buch 1 zusätzlich eine Umkehrung des Satzes von Pythagoras, indem er zeigt, dass aus der Gleichheit der Fläche des Hypotenusenquadrats mit der der Summe der Kathetenquadrate folgt, dass einer der Winkel des Dreiecks ein rechter Winkel ist.[12]
Der erste Beweis (I, 47) wird wegen der Form der Hilfslinien in der zugehörigen Figur im englischen Sprachraum gelegentlich auch windmill (Windmühle) genannt,[13][14]Arthur Schopenhauer nahm den ersten Beweis von Euklid als Beispiel für dessen in seiner Sicht willkürliche und wenig anschauliche Vorgehensweise („Oft werden, wie im Pythagoreischen Lehrsatze, Linien gezogen, ohne dass man weiss warum: hinterher zeigt sich, dass es Schlingen waren, die sich unerwartet zuziehen“, und so die Zustimmung Lernenden erzwingen, „der nun verwundert zugeben muß , was ihm seinem inneren Zusammenhang nach völlig unbegreiflich bleibt“)[15]Felix Klein verteidigte den Beweis dagegen in einer Erwiderung auf Schopenhauers Kritik als besonders anschaulich und demonstrierte dies in seiner Elementarmathematik vom höheren Standpunkt.[16]
Der in den beiden nebenstehenden Bildern auf unterschiedlicher Weise verdeutlichte Beweis durch Addition abgeleiteter Flächeninhalte,[17] stammt aus dem chinesischen Werk Zhoubi suanjing, übersetzt Klassische Arithmetik des Gnomon und die Kreisbahnen des Himmels (es wird heute angenommen, das Werk „stamme frühestens aus dem späten 4. Jahrhundert v. Chr.“).[18] Darin kommt das allgemein bekannte rechtwinklige Dreieck mit den Seiten und zur Anwendung.
Nach dem Zeichnen eines Quadrats (Bild 1) und dessen Unterteilung in x Einheitsquadrate, wird das rechtwinklige Ausgangsdreieck (rot) mit den Katheten , und mit der sich ergebenden Hypotenuse anhand des Gitters eingetragen. Darüber hinaus werden drei, dem Ausgangsdreieck gleichende Dreiecke so platziert, dass die Hypotenusen ein inneres Quadrat ergeben und demzufolge ein zentrales Einheitsquadrat (gelb) mit dem Flächeninhalt umgrenzen. Ein auf das innere Quadrat eingezeichnetes Gitter, das dem äußeren gleicht und mit den Hypotenusen einen rechten Winkel einschließt, liefert x Einheitsquadrate.
Der Flächeninhalt des inneren Quadrats mit den vier Dreiecken und dem zentralen Einheitsquadrat entspricht Einheitsquadraten. Die gesamte Anzahl der (gelben) Einheitsquadrate ergibt sich aus den Einheitsquadraten des äußeren Quadrats abzüglich der vier Dreiecksflächen des inneren Quadrats; dies bringt ebenfalls Einheitsquadrate.
Die Seitenlänge des inneren Quadrats ist die Hypotenuse somit gilt als allgemeine Formel
Werte für und eingesetzt:
Die Animation (Bild 2) verdeutlicht dies auf vergleichbarer Art und Weise.
In ein Quadrat mit der Seitenlänge werden vier kongruente rechtwinklige Dreiecke mit den Seiten , und (Hypotenuse) eingelegt. Dies kann auf zwei Arten geschehen, wie im Diagramm dargestellt ist.
Die Flächen des linken und des rechten Quadrates sind gleich (Seitenlänge ). Das linke besteht aus den vier rechtwinkligen Dreiecken und einem Quadrat mit Seitenlänge , das rechte aus den gleichen Dreiecken sowie einem Quadrat mit Seitenlänge und einem mit Seitenlänge . Die Fläche entspricht also der Summe der Fläche und der Fläche , also
Eine algebraische Lösung ergibt sich aus dem linken Bild des Diagramms. Das große Quadrat hat die Seitenlänge und somit die Fläche . Zieht man von dieser Fläche die vier Dreiecke ab, die jeweils eine Fläche von (also insgesamt ) haben, so bleibt die Fläche übrig. Es ist also
Auflösen der Klammer liefert
Zieht man nun auf beiden Seiten ab, bleibt der Satz des Pythagoras übrig.
Eine Möglichkeit ist die Scherung der Kathetenquadrate in das Hypotenusenquadrat. Unter Scherung eines Rechtecks versteht man in der Geometrie die Überführung des Rechtecks in ein Parallelogramm unter Beibehaltung der Höhe. Bei der Scherung ist das sich ergebende Parallelogramm zu dem Ausgangsrechteck flächengleich. Über zwei Scherungen können die beiden kleineren Quadrate dann in zwei Rechtecke umgewandelt werden, die zusammen genau in das große Quadrat passen.
Beim exakten Beweis muss dann noch über die Kongruenzsätze im Dreieck nachgewiesen werden, dass die kleinere Seite der sich ergebenden Rechtecke jeweils dem betreffenden Hypotenusenabschnitt entspricht. Wie üblich wurden in der Animation die Höhe mit und die Hypotenusenabschnitte mit bezeichnet.
Die gesamte Ebene lässt sich mit zwei verschiedenen Sorten von jeweils flächengleichen Quadraten parkettieren. Jedes der grünen Quadrate habe den Flächeninhalt , jedes der gelben Quadrate den Flächeninhalt und jedes der rot umrandeten Quadrate den Flächeninhalt .
Da einerseits die grünen und die gelben Quadrate zusammen und andererseits die rot umrandeten Quadrate jeweils die gesamte Ebene parkettieren, muss gelten.[19]
Figur 1 zeigt die Parkettierung mit Kathetenquadraten (grün und gelb) bzw. mit Hypotenusenquadraten (rot umrandet). In Figur 2 ist in einem Parkettierungsausschnitt die Pythagorasfigur eingezeichnet. Das an der Kathete gespiegelte grüne Kathetenquadrat ist gestrichelt als Teil der Parkettierung eingezeichnet.
Es ist nicht unbedingt notwendig, zum Beweis des Satzes von Pythagoras (explizit) Flächen heranzuziehen. Geometrisch eleganter ist es, Ähnlichkeiten zu verwenden. Sobald man sich durch Berechnung der Winkelsummen im Dreieck überzeugt hat, dass die beiden Winkel im unteren Bild gleich groß sein müssen, sieht man, dass die Dreiecke , und ähnlich sind. Der Beweis des Satzes von Pythagoras ergibt sich dann wie im Bild gezeigt, dabei beweist man auch den Kathetensatz und die Addition beider Varianten des Kathetensatzes ergibt den Satz des Pythagoras selbst. Diese Herleitung lässt sich anschaulich mit der Ähnlichkeit der Quadrate und der Ähnlichkeit deren angrenzenden Dreiecke erklären. Da deren Fläche proportional zur Fläche der jeweils anliegenden Quadrate ist, repräsentiert die Gleichung
den Satz: Die Flächen der Dreiecke CBD, ACD und ABC sind wegen Ähnlichkeit proportional zu den Quadraten über den Kanten und bestimmen sich daher zu q·a2, q·b2 und q·c2 mit einem unbekannten Faktor q ungleich Null. Da sich die ersten beiden zum dritten, vollen Dreieck ergänzen, gilt
Da q von Null verschieden ist, können wir diese Gleichung auf beiden Seiten durch q teilen und erhalten die gewünschte Beziehung. Es ist also gar nicht nötig, q zu berechnen, was die Beweisführung stark vereinfacht. Diesen bis dahin offenbar unbekannten Beweis soll Albert Einstein im Alter von zwölf Jahren gefunden haben.[20]
Ebenso kann in der Figur rechts eine Parallele zu AB von der Höhe h auf die Seite a gezogen werden, was weitere ähnliche Dreiecke und unendlich viele Beweismöglichkeiten liefert.[21]
Die Umkehrung des Satzes lässt sich auf verschiedene Arten beweisen, ein besonders einfacher Beweis ergibt sich jedoch, wenn man den Satz des Pythagoras selbst zum Beweis seiner Umkehrung heranzieht.
Zu einem beliebigen Dreieck, dessen Seiten die Bedingung erfüllen, konstruiert man ein zweites Dreieck. Dieses besitzt einen rechten Winkel, dessen Schenkellängen den Seitenlängen von und entsprechen. Nach dem Satz des Pythagoras beträgt nun die Länge der Hypotenuse in diesem zweiten Dreieck und entspricht damit der Länge der Seite des Ausgangsdreiecks. Somit besitzen die beiden Dreiecke die gleichen Seitenlängen und sind aufgrund des ersten Kongruenzsatzes (SSS) kongruent. Damit sind dann aber auch ihre Winkel gleich, das heißt, auch das Ausgangsdreieck besitzt einen rechten Winkel, der der Seite gegenüberliegt.
→ Hauptartikel: Kosinussatz
Der Kosinussatz ist eine Verallgemeinerung des Satzes von Pythagoras für beliebige Dreiecke:
wobei der Winkel zwischen den Seiten und ist. Der Kosinussatz unterscheidet sich also durch den Term vom Satz des Pythagoras. Da der Kosinus von gleich null ist, fällt dieser Term bei einem rechten Winkel weg, und es ergibt sich als Spezialfall der Satz des Pythagoras. Gilt umgekehrt in einem Dreieck die Beziehung